Den Weg begreifen

In Institutionen (wie zB. Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kindergärten) wo das kognitive Verhalten eingeschränkt ist aus unterschiedlichen Gründen ist die emotionale Ebene bedeutend. Immer auf der Suche nach neuen Antworten auf die Frage, wie uns gutes Design berühren kann, bearbeitet das Atelier Andrea Gassner in der Signaletik derzeit einen spannenden Ansatz. Die Haptik – im Produktdesign Pflicht – scheint dort Stiefkind zu sein. Doch für die Gestalterin sind visuelle Leitsysteme mehr als Markierungen, mehr als pure Verortung im Raum. Es gibt auch eine intuitive Orientierung, die auf einer emotionalen Ebene wirkt. Dies wird bei Orientierungssystemen oft unterschätzt oder sogar ignoriert, so Andrea Gassner. In einem laufenden Projekt zur Bedeutung der Signaletik in Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen mit Demenz und Sehbehinderung wird in enger Zusammenarbeit mit den Architekten Cukrowicz Nachbaur die Wirkung und Bedeutung von Sinnesreizen zur Orientierung im Raum thematisiert: Was bleibt, wenn Sehen, Hören und Erkennen schwinden? Wie können wir den alten Menschen mehr Sicherheit und Orientierung geben?
Ziel ist es, ein neues Leitsystem zu entwickeln, das den Tastsinn ansprechen soll. Unterschätzt wird der Einfluss der Haptik in der Signaletik. Über die Haut sind wir permanent in Kontakt zur Außenwelt. In unsere Studie mit alten Menschen, darunter demente und Menschen mit Sehbehinderungen untersuchten wir, wie wir mit einem Spürangebot in der Signaletik die Menschen unterstützen.

Das Ziel ist nicht nur den kürzesten Weg zu zeigen, unser Ziel ist es, den Weg zu begreifen. Damit wir die Welt begreifbar machen, erarbeiten wir in unserer Signaletik eine zweite Ebene und verbinden die kognitive mit der emotionalen Ebene. Nichts emotionalisiert und überzeugt uns mehr als das, was wir mit unseren eigenen Händen begreifen und uns mit unseren Fingerspitzen erfahrbar machen können.

Gemeinsam mit den alten Menschen im Haus untersuchten wir verschiedene Holzarten, Oberflächen und Formen. Aus der Studie entwickelten wir Handläufe, die helfen sich in den verschiedenen Stockwerken und Gebäudeteil zu orientieren. In der Produktion wurden die Handläufe von Hand gedrechselt und in Form gebracht. Die Strukturen wirken durch das Handwerk lebendig und es ist jeder Laufmeter einzigartig.

Für die Bewohner und Besucher ist im Eingangsbereich eine Übersicht und Beschreibung der verschiedenen Handläufe. Begleitend mit dem Text:

D E N   W E G   B E G R E I F E N
«In meinem Alter ist es mit dem Sehen und Gehen nicht mehr so, wie es einmal war. Darum verlasse ich mich auch auf meine Hände, um mich zu stützen und zurechtzufinden. Die unterschiedlichen Strukturen der Handläufe hier im Haus sind mir eine grosse Hilfe. Ich kann mit meinen Händen fühlen, wo ich mich befinde, und so den Weg begreifen.»