ausgiebig fokussiert
Hohe Auflage – Ausstellung vai, Dornbirn
Anspruchsvolle Architektur stand schon immer einer dem Mainstream und Kommerz verpflichteten Baupraxis distanziert-kritisch gegenüber. Solcherlei Spannungszustände finden sich in vielen Bereichen, wie etwa im Kontrast zwischen billiger, lautstarker Werbung und einer erfinderischen und stilbewussten Kommunikationsarbeit. In diesem Sinne ist auch die Zusammenarbeit eines Architekturinstituts mit einem Massenmedium durchaus als ambivalent zu verstehen. Dass dies dennoch für alle Beteiligten positive Effekte haben kann, zeigt dieses Projekt. Unter dem Titel „Leben & Wohnen“ erscheint eine wöchentliche Immobilienbeilage in der größten Vorarlberger Tageszeitung, den „Vorarlberger Nachrichten“. Seit November 2011 zeichnet das vai (Vorarlberger Architektur Institut) für Projektauswahl und redaktionelle Gestaltung der Coverserie verantwortlich. Die Beilage profitiert durch diese Kooperation und gewinnt fortlaufend interessante Covergeschichten mit hochwertigem Bild- und Textmaterial – dem vai eröffnet sich im Gegenzug ein permanenter Schauplatz zur Architekturvermittlung in der breiten Öffentlichkeit. Denn als Anzeigenschaltung würden die jeweils ganzseitigen Berichte auf den ersten redaktionellen Seiten inklusive Titelbild den finanziellen Rahmen des Instituts sprengen. Innerhalb von fünf Jahren wurden etwa 1300 Architekturseiten veröffentlicht. Und die Serie läuft weiter. Als Antwort auf eine erste Gestaltungsanfrage der damaligen vai-Direktorin Marina Hämmerle schlug ich vor, die Inhalte rein redaktionell zu sehen und von der Grafikabteilung der „Vorarlberger Nachrichten“ im gewohnten Zeitungslayout gestalten zu lassen. Die Intention war, dass die Architekturporträts aus Vorarlberg so Authentizität und Glaubwürdigkeit vermitteln.
Bereits nach einem Jahr entschied der Vorstand des vai, in einer anregenden und informativen Schau die erfolgreiche Medienkooperation in den Ausstellungsräumen des vai in Dornbirn vorzustellen. In einem intensiven Arbeitsprozess mit Marina Hämmerle und den Architekturkritikern Robert Fabach und Florian Aicher entwickelten wir Exponate, Bühnenbild und Szenografie. Die Sommerausstellung lief vom 18. Juli bis 6. Oktober 2012 unter dem Titel „Hohe Auflage“. 33 Reportagen mit gesamt 175 Architekturseiten wurden aus der Immobilienbeilage reprotechnisch herausgelöst und auf einer 50 Meter langen Druckfahne faksimiliert. Diese spannte sich auf und ab quer durch die Ausstellungsräume, drehte sich in der Mitte um die eigene Achse und endete letztlich als eine am Boden auslaufende Bahn. Die Aneinanderreihung der Beiträge zeigte die enorme Vielfalt und Qualität der Veröffentlichungen. Die Welt der Reproduktionstechnik und der im Massendruck übliche Rollenoffsetdruck auf breiten Papierbahnen lieferten die Assoziation für diese Inszenierung. Als weitere Kulisse diente ein über 100-fach vergrößerter Ausschnitt aus einem Druckbild. Das 5,66 Meter breite und 3,02 Meter hohe Wandbild zeigte plakativ die Punktrasterung von Bildern und Randunschärfe von Buchstaben.
Dem Redigieren und Bearbeiten der Texte waren mehrere Exponate gewidmet. Ein großes Wortbild machte beispielsweise die Headlines der Beiträge auf eine neue Art lesbar. Der „erzwungene Blocksatz“ in ganz schmalen, nebeneinanderstehenden Satzkolumnen mit hohem Zeilenabstand löste das vertikale Satzmuster auf und verknüpfte die Worte der Kolumnen horizontal miteinander: ein strategischer typografischer Fauxpas, der dadurch neue sinnlose, aber sinnliche Texte hervorbrachte. In der 40-seitigen Sonderausgabe „Nur Text“ wurden die Architekturgeschichten – und zwar ausschließlich die Texte – in limitierter Auflage als Zeitung im Kleinformat gedruckt und auf einer Palette zur freien Entnahme gestapelt.
Ein Glossar zu Fachausdrücken schloss die Reihe von Beiträgen auf der raumgreifenden Papierbahn ab. Die Erläuterungen ausgewählter Begriffe aus Architektur und Massenkommunikation entstanden durch eine Assemblage aus verschiedenen Enzyklopädien und Wörterbüchern.
Reinhard Gassner