Die Presse am Sonntag

Region Tannberg – Orientierungssystem
Ungekürztes Interview mit Andrea Redolfi

Was ist die Besonderheit an Orientierungsdesign im öffentlichen Raum im Gegensatz zu Gebäuden?

Erstens sind die Entfernungen meist größer, außerdem muss anders als im geschlossenen Raum auf Wetterverhältnisse Rücksicht genommen werden. Bei einem Wanderweg wie am Tannberg, der auf 2.000 Meter liegt, muss ich auch Höhenlage, Jahreszeiten und Lichtverhältnisse beachten. Im Innenraum ist oft ein künstliches Licht, im öffentlichen Raum hat man mit Tag und Nacht umzugehen. Die Unterscheidung liegt aber nicht so sehr im Außen- oder Innenraum, viel eher an den jeweiligen Kommunikationsanliegen. In einem Flughafen oder Krankenhaus oder auf der Straße geht es um pragmatische Wegweisung und Orientierung (jemand will möglichst schnell von A nach B gelangen). Ein Wanderwege-Leitsystem muss dem Wanderer den rechten Weg weisen. Tannberg ist aber nicht vordergründig ein Wanderwege-Leitsystem sondern ein Führer auf einem Kulturpfad in einer sehr geschichtsträchtigen Region. Die meisten Wege befinden sich über der Waldgrenze, sind gut sichtbar. Es ging also hier nicht vordergründig um die Wegleitung als vielmehr um die Vermittlung von Informationen. Bei der Region Tannberg war es die Aufgabe, dem Betrachter das Nicht-Gesehene und Interessante sichtbar und erlebbar zu machen.

Welche Auswirkungen haben die äußeren Umstände auf das Design?

In der Region Tannberg haben wir die äußeren Umstände zum Thema unserer Gestaltungslösung gemacht. In einer fast unberührten Natur ärgert man sich über alles Künstliche und Fremde. Anstelle Plastikschilder mit aufgeklebten oder aufgedruckten Schriften haben wir als Basis der Beschriftungen unbehandeltes Lärchenholz gewählt. Holz ist Teil der traditionellen Baukultur in dieser Region und hat sich als witterungsbeständiges Material an solchen Lagen bewährt. Die CNC-gefrästen Schriftzeilen haben keine Probleme mit Haltbarkeit und Lichtechtheit. Im Gegenteil, im Zuge der Alterung ergraut das Material, die konisch vertieften Buchstaben bleiben durch das Licht- und Schattenspiel immer gut sichtbar und die Beschriftungselemente werden so Teil der Kulturlandschaft. Den Spuren der Walser zu folgen bedeutet hier lange Wege zu gehen. Wanderer sind froh über eine gemütliche Bank an einem schönen Ort. Dies und der „äußere“ Umstand, dass die entsprechenden Geschichten an schönen Orten lokalisiert wurden, hat uns auf die Idee gebracht für die Wanderer gemütliche Bänke als Beschriftungselemente einzurichten.

Wie oft sehen Sie Leitsysteme im öffentlichen Raum überhaupt verwirklicht?

Gebäudekennzeichnungen oder Straßenleitsysteme sind Teil unseres Alltags und bestimmen das öffentliche Bild. Informationsleitsysteme im öffentlichen Raum sind eher selten. Es muss ja nicht alles beschrieben sein, aber ein gutes Leitsystem für den öffentlichen Nahverkehr kann beispielsweise nicht nur die Akzeptanz eines Angebotes positiv beeinflussen sondern auch ein prägnantes architektonisches und städtebauliches Muster sein. In Vorarlberg ist dies mit dem Stadt- und Landbussystem gelungen. Verantwortlich für das Design waren Architekt Wolfgang Ritsch und der Gestalter Reinold Luger. Da es hier immer um eine Überschneidung von räumlichen, szenografischen und kommunikativen Disziplinen geht, arbeiten wir in solchen Aufgabenbereichen eng mit Architekten zusammen.

Was ist der Nachteil an Schildern bzw. Verkehrszeichen, die durch Städte oder Gebiete führen? Für Orientierungshilfen welcher Art eignet sich Signaletik besonders gut?

Signaletik bedeutet kennzeichnen und die Kennzeichnung von Orten und/oder Zielorten dient der Orientierung. Das gilt für Straßen, Wege und Orte im öffentlichen Raum genauso wie innerhalb von speziellen Räumen. Signaletik ist dort gut, wo nutzerbezogene Führung und Orientierung gebraucht wird. Signaletik ist dort schlecht, wo sie sich zu wichtig macht oder wo sie nicht funktioniert – durch schlechte Sichtbarkeit oder schlechte (Ab)Lesbarkeit.

Besteht nicht ein Unterschied darin, dass Orientierungssysteme erfassbar sein sollten während Verkehrszeichen erlernt werden müssen?

Verkehrszeichen dienen der Benutzerführung, sind Teile signaletischer Systeme. Die Funktionstüchtigkeit eines Verkehrsleitsystems ist für die Benutzer einer Straße lebenswichtig. Verkehrsleitsysteme brauchen eine klare Systematik und klare Zeichen. Ich sage „Zeichen“ und nicht „Symbole“, da sie unmissverständlich sein müssen. Und, wir müssen immer zuerst die Regel eines Systems erlernen, damit es dann für uns lesbar und zur Orientierung werden kann. Noch so gut gestaltete Schilder nützen uns nichts, wenn wir deren Zeichensprache nicht verstehen; egal ob es sich dabei um ein uns fremdes Schriftsystem oder um mehrdeutige Piktogramme handelt. Verkehrszeichen sind ein „erzwungenes Design“ – wir dürfen nur unter der Voraussetzung am öffentlichen Verkehr aktiv teilnehmen, wenn wir dessen Zeichen kennen.

AD Tannberg – Wie führt man durch eine Wanderregion?

Leitsysteme, bei denen es um Information und Kommunikation geht, sind offene Angebote. Wenn nun jemand einfach wandern will und die Informationen in der Region Tannberg links liegen lässt, geschieht damit niemandem einen Schaden. Unsere Aufgabe war es, interessierten Menschen die Bedeutung und Besonderheiten dieser Region zu kommunizieren. Dabei ist Erfassbarkeit aber auch das neugierig machen durch beispielsweise interessante Formulierungen und Effekte der Beschriftung genauso essenziell wie die medienübergreifende Vertiefung der angerissenen Themen in Drucksachen und digitaler Kommunikation.

Was waren die Anforderungen des Auftraggebers bei der Wanderregion „Tannberg“?

Der Tannberg bildet die Achse zwischen Bregenzerwald, Arlberg und Lechtal. Dort tagte einst jenes Walsergericht, das der Region den Namen gab und die drei Orte Lech, Warth und Schröcken seit der Einwanderung von Wallisern über Jahrhunderte hinweg einte.
Die drei Walsergemeinden Lech, Warth und Schröcken sind durch Schnee und Lawinengefahr im Winter voneinander getrennt. Die Besonderheit der gemeinsamen 500-jährigen Geschichte der Region soll an speziell ausgewählten Wanderrouten und Wegpunkten im Sommer vermittelt und gewürdigt werden. Es ist also eine Maßnahme die genauso nach innen gerichtet ist wie nach außen in Richtung Tourismus und Gäste. Übergeordnetes Ziel war und ist die Stärkung der Identität der gesamten „Erlebnis Region Tannberg“.

Wie gut ausgeschildert war die Wanderregion Tannberg am Beginn ihrer Arbeit mit dem Orientierungssystem?

Es gab einige Wanderwegschilder. Dort konnte ich ablesen wo ich bin und wohin der Weg führt.

Sind Elemente wie die interaktive Wanderkarte heutzutage ein „Muss“, funktioniert das Orientierungssystem auch losgelöst davon? (Stichwort: Abschalten ...)

Es gibt eine Faltkartografie mit den wichtigsten Informationen im Visitenkartenformat; es gibt die Geschichten hervorragend erzählt vom Innsbrucker Autor und Texter Olaf Sailer im Taschenbuchformat; es gibt eine interaktive Wanderkarte unter www.tannberg.info – Anforderung für diese Website ist die Bewerbung der „Erlebnis Region Tannberg“ und die Vertiefung der im Leitsystem vor Ort thematisierten Geschichten und Botschaften. Aber auch die Bereitstellung aktueller Informationen zum Beispiel zum Wetter oder unterschiedlichen Themen. In einer dynamisch programmierten Kartografie finden sich in Bild und Text Hintergründe und Detailinformationen zu den über vierzig, auf Wanderrouten verorteten, Infopunkten. Die Informationen sind in die Angebotsbereiche Kultur / Sport / Natur gegliedert. Verbunden mit allgemeinen Infos fungiert die Website als „Appetitanreger“ für interessierte Gäste von weiter weg und interaktives Service-Tool für Nutzerinnen und Nutzer. Eine interaktive Wanderkarte ist natürlich kein „Muss“, aber eine sinnvolle Ergänzung zum Informationsangebot. Die Seite ist nicht auf Mobiltelefone optimiert, kann aber doch mit etwas Geduld auch dort genutzt werden. Zusätzliche digitale Informationssysteme wollten wir hier bewusst nicht einsetzen.

Was verwirrt Menschen in Wald und Gelände, was hilft ihnen „auf den richtigen Weg?“

In diesem Fall war weniger das Kontrastierende, sondern die Angemessenheit die ästhetische Herausforderung. Bei der ersten Begehung der Region wurden wir durch die bestechend schöne Landschaft fast eingeschüchtert. Wir suchten Bezugspunkte, in der Tradition genauso wie in dem, was heute sichtbar ist. Da gab es das Baumaterial Holz, Lattenzäune, die meisten alten Bauten in Blockbauweisen, mit massiven Balken und schönen Holzverkleidungen. Die Proportion und der Maßrhythmus von Bauwerken wurden bestimmt von Funktion und Machbarkeit. Wir wollten dieser formal gewachsenen Schönheit gerecht werden, ohne sie „nachzuäffen“ und entwickelten die Idee mit den Holzbänken. Für die professionelle Umsetzung suchten wir die Zusammenarbeit mit einem kompetenten Holzbauarchitekten. Prof. Hermann Kaufmann gab uns wertvolle Tips und sein Mitarbeiter, Arch. Christoph Dünser, gestaltete in der Folge die funktionelle Möblierungen: Bänke mit massiven Lärchenholz-Balken, Stelen mit Lochbohrungen die die Blicke in bestimmte Richtungen und an bestimmte Orte lenken, Zäune und Holzlatten mit interessanten Kurzinformationen. Wir bedienten uns der Tradition von in Latten und Balken eingeschnitzten Schriften, allerdings mit moderner Typografie und Frästechnik. Unsere formale Strategie war es, ein Leitsystem zu gestalten, das sich in die Umgebung und die Geschichte des Ortes einbettet und dennoch die visuelle Sprache von heute und morgen spricht.

Welche Herausforderungen ergaben sich im Bezug auf die Ästhetik?

Es gibt ein vorarlbergweites Wanderwege-Leitsystem, das wir in Zusammenarbeit mit der Raumplanungsstelle des Landes 1993 gestaltet haben. Wir entwickelten ein schlichtes Schildersystem in naturfarbenem Aluminium, da in Tests diese Materialität und Farbe, vor allem bei schlechter Witterung, am weitesten sichtbar war. Im Gegensatz zu Tannberg geht es hier nicht um Kommunikation, sondern um klare Information, die für manche Wanderer in ausgesetzten Situationen lebensrettend sein können. Überfrachtung an Informationen sind auch hier tabu und verwirrend. Hilfreich sind Informationen zum Ort (Name, Höhenlage) und eine klare Zielformulierung mit realistischen Zeitangaben. Die Auswahl der richtigen von beiden Gehrichtungen gut sichtbaren Standorte ist eine ganz eigene Anforderungen. Inzwischen sind in Vorarlberg an die hundert Wegwarte tätig und weit mehr als 60.000 Schilder aufgestellt.

Wie lange ist die Haltbarkeit der in Holzlatten eingefrästen Schriften?

Um die Alterung zu testen haben wir Fräsungen von Schriften in unterschiedlicher Diktion, Größe und Tiefe ein Jahr lang dem Wind und Wetter ausgesetzt und erst dann die Typografie und Fräsart spezifiziert. Die Holzmöbel sind funktionell gestaltet und fachgerecht ausgeführt. Es gibt beispielsweise keine, dem Regen direkt ausgesetzte Verschraubung oder wasserempfindliche Bohrung. Wenn man nun die oft jahrhundertealten Schriftschnitzereien an den Holzbauten der Walser betrachtet, dürfte die Haltbarkeit dieses Beschriftungssystems übliche Schilder bei Weitem übertreffen.

Warum wurden schlussendlich Bänke und Guckhilfen als Informationsträger gewählt?

Die Bänke sollen den Betrachter einladen, zu verweilen und die Kernbotschaften in Ruhe aufzunehmen. Die Ruhebank ist auf gebirgigen Routen nicht fremd und wird von Wanderer immer gerne wahrgenommen. Die Stelen bringen eher eine spielerischen und, im wahrsten Sinne des Wortes, augenzwinkernde Komponente ein. Sie erinnern an die touristischen Ferngucker, die wir von aussichtsreichen Plätzen schon kennen. Bei der Benutzung wird man dann aber wirklich überrrascht von dem „Durchblick“ auf eine besondere Bergspitze oder einen interessanten Ort.

„Ziel war und ist die Stärkung der Identität der gesamten Region durch ein gemeinsames Erscheinungsbild“ – Ist die Stärkung der Identität immer ein Teilziel bei Projekten, die sich mit Städten, Orten, Regionen beschäftigen und wie beurteilen Sie die Situation diesbezüglich in Österreich?

Ja, wenn es gut gemacht ist und die Inhalte stimmen, ist die Stärkung der Identität immer ein Effekt von guten Leitsystemen innerhalb einer Region. Ich habe schon das Vorarlberger Busleitsystem erwähnt. Es wurde von zwanzig Jahren entwickelt, funktioniert bis heute ausgezeichnet und ist inzwischen für das ganze Land ein markanter und identitätsstiftender Image-Baustein im öffentlichen Raum. Manche Bussysteme österreichischer Städte oder Länder sind zugepflastert mit Fremdwerbung, haben ein verstaubtes Infosystem und wundern sich über schwindende Fahrgastzahlen oder schlechte Images. Für die Region Tannberg mussten wir zuerst als Basis für das Leitsystem ein zeitgemäßen Erscheinungsbild gestalten. Das Informationssystem ist ein Manifest dieses gemeinsamen Auftritts, ein deutlich sichtbares Zeichen der Geschichte und Zusammengehörigkeit der Gemeinden. Es wird deren Identität und Image nachhaltig positiv beeinflussen.

Die Fragen an Andrea Redolfi stellte Cornelia Girardi