Fachzeitschrift Zuschnitt

Baustoff der Gestaltung Papier ist für mich als Grafik-Designer was der Baustoff für ­Architekten: Es hat die gleiche funktionelle und gestalterische Bedeutung. Diese beinhaltet auch Bildbedeutung: Farbe und Leuchtkraft, Glätte oder Rauheit, Dichte und Dicke, Wärme oder Kälte, aber auch den Klang beim Blättern. Papier klingt und riecht, es erzählt Geschichten, die wir mit allen Sinnen wahrnehmen, meist ohne uns dessen bewusst zu sein. In einem ausgereiften Erscheinungsbild-Programm ist das Papierkonzept ein ebenso wichtiger Baustein wie die Logotype, das Farb­klima und das Typogramm. Es ist der (Bedruck)Stoff, in den sich ein Unternehmen kleidet. Und wer Stoffe zu schätzen weiß, kennt die Aussagekraft ihrer spezifi­schen Qualität. Es gibt ein großes Sortiment an Papieren und die Entscheidung für eines davon ist von gestalterischer Tragweite. Bewusst zu machen, was wir in den Händen halten, ist letztlich das Ziel dieses Zuschnitts, weshalb die Schrift an den Rand rückt und das Trägermaterial zum Bild wird.

Lange suchten wir ein geeignetes Papier für den Zuschnitt. Es sollte zu Holz und Architektur, Fertigung und Kultur passen und eine gute Basis für anspruchsvolle Reproduktionen von filigra­nen Plangrafiken ebenso wie von Fotografien sein. Das lichte Chamois, der sanfte Griff sprachen klar für PhöniXmotion. End­gültig überzeugt hat uns letzt­lich die Beschaffenheit der Oberfläche: Sie ist nur leicht gestrichen und die Fasern sind noch sicht- und spürbar. Kern- und Umschlagpapier sind von der gleichen Sorte, jedoch unterschiedlich in ihrer Grammatur. Beide fallen in der „Laufrichtung“ ­(Faserrichtung) sehr weich, ­lassen sich gut öffnen und blättern. Papiere sind entlang ihrer Laufrichtung besser faltbar – leicht zu veranschaulichen anhand eines Wellkartons, der entlang der Wellenstruktur oder quer zu ihr gefaltet wird. Wenn sich im Bund eines Buches der Kern leicht wellt, dann wurde das Papier gegen seine Laufrichtung gefalzt und gebunden. Die Qualität der Verarbeitung von Papieren ist also genauso wichtig wie die Wahl des Materials selbst.

Dieses Papier hat Körper, es besitzt „Volumen“; damit bezeichnet man die Dicke des Papiers im Verhältnis zu seinem Gewicht (Grammatur mal Volumen ist Dicke in Tausendstel Millimetern). Das Standardmaß kann über- oder unterschritten werden. Wird Papier geglättet, werden durch Pressen die Fasern in die Oberfläche „hineingedrückt“ und die Dicke wird reduziert. Beim vorliegendenden Papier sind die Fasern erwünscht und „plustern“ das Papier im Verhältnis zu seiner Grammatur um mehr als das Doppelte auf (80 g⁄ m2 mal 2,25 Vol.=0,18 mm). Man spürt seine Fasern, den stofflich warmen Griff, passend zum zarten Chamois-Farbton. „Werkdruck“ ist eine alte Bezeichnung für Buchdruckpapiere mit Volumenqualität. Werkdruckpapier wird auch heute gerne für belletristische Bücher eingesetzt. Es verleiht ihnen den gewünschten Körper ohne schwer zu sein. Der weiche Bedruckstoff bietet eine wohl­tuende Grundfläche für die Buch­staben, blendet nicht mit harten Kontrasten und stört ­die Lese­ruhe nicht durch lästiges Knistern. Die Seiten fallen weich und liegen gut in der Hand.

Glanz hat eine tiefe Bedeutung. In der Umkehrung wird es deutlich: matte Lippen, matte Augen, matte Feinstrumpfhosen, matte Autolacke ... – eine paradoxe Zuschreibung für Dinge, die wir unmittelbar mit Glanz in Verbindung bringen. Glanz strahlt und reflektiert wie die Ober­fläche von Wasser oder Eis. Glanz ist attraktiv. In der Werbung begegnen wir oft seiner schwülstigen Nachahmung durch ­billige Strahlen­effekte. Auch das Hochglanz-Magazin möchte sich vom billigen Zeitungspapier abheben, möchte glänzen. Glänzende Papiere sind zugleich besonders glatt und lassen die Druckfarbe weniger weit eindringen, sie sorgen für eine gleich­mäßige Farbabnahme und geringeren Farbverbrauch. Schwarz bleibt Schwarz, Farbtiefe und Kontraste bleiben er­halten, während auf rauen Oberflächen die Farbe „einsinkt“, zerfließt, an Schärfe verliert. Das Pressen und Verdichten des Papiers ist ausschlaggebend für seine Glätte und Refle­xi­­ons­fähigkeit. Solche Papiere werden für Magazin-Cover, hochwertige Verpackungen und – in schwe­reren Grammaturen – für Postkarten, oft nur einseitig glatt (gussgestrichen), verwendet. Die Rückseite dieser Papiere ist nur geringfügig pigmentiert, sonst aber ungeglättet und offenporig. Das ist nicht nur sicht-, sondern auch spürbar: Temperatur und Reibungseigenschaft der beiden Seiten sind deutlich verschieden.

Das dünnste Plakat, das ich je produzieren ließ, war ein Siebdruck auf farbigem Seidenpapier (30 g⁄ m2). Mich interessierte das Unmögliche, die Durchlässigkeit, das Knittern und der helle, feine Klang für die plakative Ankündigung einer literarischen Veranstaltung. Dünndruck­papier wird vor allem für seitenstarke Drucksachen oder Bücher eingesetzt, um Gewicht und Stärke zu minimieren. Daher nennt man es auch Bibeldruckpapier. Die Herausforderung bei solch hochwertigen, ungestrichenen Papieren ist eine möglichst große Opazität trotz geringer Stofflichkeit. Den Gestalter interessiert ­jedoch die Transluzenz. Sie kann etwas ankündigen, sich einmischen und die Aufdrucke beidseitig miteinander verknüpfen. Das Blättern selbst bringt Licht ins Papier und die Drucke aufeinander liegender Seiten überlagern sich mehrfach, ähnlich einem Palimpsest.

Als Gestalter habe ich das Recyclingpapier schon vor langem hinter mir gelassen, als die „Öko-Welle“ zu penetrant wurde. Das Papier ist wenig gebleicht, also grau – natürlich ein spezielles Grau, eher „warm“, und manchmal sind kleine Schmutz­partikel eingeschlossen. Auf die Spitze getrieben wurde der Trend damals von einem skandinavischen Anbieter, der auf der Papieroberfläche Partikel alter Zeitungen sichtbar machte. „Feinspitze“ der Gestaltung haben mit diesem fragwürdigen ­Ef­­fekt ganze Kampagnen ­bespielt. So wie ich. Das in diesem Heft verwendete Recycling-Papier ist relativ hell und verspricht eine akzeptable Druck­qualität, der Griff ist etwas rau und gebremst, der Klang weich. Als Rohstoff dient mehrfach wiederverwerte­tes Altpapier. Ein fünfstufiges Waschprogramm mit Seifenlaugen sorgt aber für gute Papierqualität und Helligkeit.

Weiß ist nicht Weiß. Am besten erkennen wir das im direkten Vergleich verschiedener Papiersorten. Und die Farbe des ­Papiers, beispielsweise für die Geschäftsausstattung eines ­Unternehmens, ist ein entscheidender Faktor im Farbklima eines Corporate Designs. Manche wünschen sich ein sachliches, klares Weiß, andere wiederum bevorzugen „Naturweiß“, leicht getönt. Der Weißegrad des Papiers wird durch die Farbe des Zellstoffs maßgeblich beeinflusst. Ungebleichter Zellstoff ist braun wie Packpapier. Die heutigen Qualitätszellstoffe ­werden chlorfrei gebleicht, die endgültige Papierfarbe durch den Kreidestrich in der Produktion noch zusätzlich nuanciert. Wenn es noch weißer sein soll, verwendet man „optische Aufheller“. Dabei handelt es sich um fluoreszierende Stoffe, die der Papier- oder Streichmasse zugegeben werden. Dann wirken Papiere strahlend, blendend, fast schon bläulich weiß.