erosiv manifest

Gebaute Erde  –  Lehrbuch zum Stampflehmbau, Martin Rauch, Schlins

Im Zuge unseres Atelierneubaus in Schlins in den 1980er-Jahren interessierten wir uns sehr für baubiologische Zusammenhänge und wollten mehr über Lehmbau erfahren. Martin Rauch, der in direkter Nachbarschaft zum Ateliergrundstück lebt, war gerade dabei, für seinen Bruder ein Wohnhaus zu bauen. Es war an einem Wintertag in dem noch offenen Rohbau: Im Gegensatz zum kalten Beton fühlte sich die Lehmwand haptisch nach wenigen Sekunden behaglich und wärmend an. Das war überzeugend, und so wurden meine Frau Ruth und ich einer der ersten Lehmbaukunden von Martin Rauch. Bereits 1988 durften wir für Martin Rauch seine erste Ausstellung mit Katalog gestalten. Gut zehn Jahre später erschien die inzwischen schon lange vergriffene Publi­kation „Rammed Earth. Lehm und Architektur“. Das Buch war für die Fachwelt ein wesentlicher Impulsgeber für den modernen Lehmbau. Inzwischen ist Martin Rauchs Baukunst international bekannt und gefragt. Kaum jemand verfügt über so viele Kenntnisse und Erfahrungen im Stampflehmbau. Martin Rauch gibt sein Wissen weiter – in Lehrveranstaltungen an der ETH Zürich, an der Harvard University, in Vorträgen und Workshops an vielen Orten der Welt sowie in seinem Arbeitsalltag durch die Zusammenarbeit mit immer wieder neuen, interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Nach all den Jahren war es 2015 Zeit geworden für ein neues Buch, nicht als Werkschau gedacht, sondern als Planungshandbuch mit gebauten Beispielen und detailgenauen Einblicken in die Techniken des Planens und Bauens mit Stampflehm. Es ging uns darum, Martin Rauchs Werk, seine Erkenntnisse in Forschung und Entwicklung mit bibliophiler Ruhe, Tiefe und Stabilität abzubilden. Ebenso wichtig bei der Medienwahl war das taktile Feedback: Es scheint bei Drucksachen, besonders bei Büchern, einer der Gründe für ihr beharrliches Fortleben zu sein. Ein gutes Buch macht Inhalte manifest, hat Verbindlichkeit durch seine Autorenschaft und Verbreitung. Ein Buch lässt sich nicht einfach löschen, abschalten oder nachträglich korrigieren. Bücher bilden keine nebulöse „Cloud“, lassen sich nicht einfach skalieren, sie sind da, handgreiflich und angreifbar, haben Oberfläche und Reibung und Gewicht. Die Publikation gliedert sich nicht nach Projekten, sondern nach vier Baubereichen – Boden, Wand, Decke und Öffnung. Sie erzählt über Konstruktion und Ausführung anhand von einzelnen Projektdetails und aktuellen Referenzprojekten. An ihnen wird beispielhaft gezeigt, wie sich bautechnische Probleme im Lehmbau lösen lassen und welche gestalterischen Möglichkeiten sich daraus ergeben.

Reinhard Gassner

Vier Kapitel – basierend auf einer Idee von Otto Kapfinger – bilden den Kern des Inhalts. Sie sind in der Buchmitte platziert und strukturiert durch panoramaseitige Bildeinstiege sowie große axonometrische Plandarstellungen. Alle Detailpläne wurden eigens für die Buchproduktion gezeichnet. Sie übernehmen in diesem schwarz-weiß gehaltenen Buchteil die Hauptrolle. Randabfallende, lehmgraue Streifen – unten, oben, seitlich – deuten den jeweiligen Baubereich an: Boden, Wand, Öffnung und Decke. Die Streifen sind am Schnittbild des Buchkörpers sichtbar. Im Inhaltsverzeichnis findet sich dieses Detail in Form von schematischen Miniaturen und erschließt in Verbindung mit dem Verzeichnis die Benutzerführung durch den Inhalt. Großformatige Farbtafeln stehen am Anfang und Ende des Buches: eine Bild­strecke mit fertigen Baureferenzen, eine Bildstrecke von Bauprozessen in der Vorfertigung und auf der Baustelle.

Lehmbau ist erdig, massiv; man würde für den Fließtext eher eine serifenlose, kräftige Grotesk mit Bodenhaftung vermuten. Das war uns jedoch zu vordergründig. Anspruchsvoller Lehmbau hat viele Facetten und zu Unrecht das Image dreckverschmierter Latzhosen. Hinter Rauchs Baukunst stecken feinsinnige Intentionen. Beispielsweise eine filigrane Materialabstimmung unterschiedlicher Erden, die Interaktion des Materials mit Mensch und Umraum, die ästhetische Oberfläche mit ihrer Ablesbarkeit von Fertigung und Substanz, Lebenszyklusaspekte und vieles mehr. Als typografischen Konterpart wählten wir daher die humanistische Antiquaschrift Novel pro des Schriftschöpfers Christoph Dunst.
Der gestampfte Lehm zeigt in seiner horizontalen Struktur den Herstellungsprozess wie ein Schnittbild, Schicht auf Schicht. Die Leser sollen animiert werden, den Schutzumschlag taktil zu begreifen. Das erste Umschlagskonzept spielte mit dem horizontalen Lehmaufbau, indem verschiedene Oberflächen aus Leinen streifenartig und unregelmäßig übereinander geschichtet wurden. Die Wirkung war im Gesamtbild zu stofflich, weshalb ich zu einem offenporigen Naturpapier als Schutzumschlag griff. Das Papier fühlt sich weich an, ist aber durchaus robust. Ich schnitt Linien in die Oberfläche des Papiers. Diese geradlinigen Einschnitte erfüllten einige der beabsichtigten Assoziationen, erschienen aber zu kon­struiert. In einem weiteren Schritt arbeitete ich mit ungleichmäßig gewellten Linien, die sich an der natürlichen Stampfstruktur orientierten. Unterstützt durch ein Papier mit Prägestruktur kam das dem erwünschten optischen Eindruck sehr nahe. Der Buch­titel, der großflächig, aber kontrastarm auf dem Cover platziert ist, wird durch die eingeschnittenen Linien unterbrochen und so in eine bildhafte Bewegung versetzt.

Andrea Gassner